Wir fordern:
Shlomo-Lewin-Straße statt Bismarckstraße!
Frida-Poeschke-Platz statt Lorlebergplatz!

Gegen das Vergessen.
Wir fordern:
Shlomo-Lewin-Straße statt Bismarckstraße!
Frida-Poeschke-Platz statt Lorlebergplatz!

Gestern, am 19.12.2023, waren gut 150 Menschen gemeinsam mit uns auf der Straße, um an Shlomo Lewin und Frida Poeschke zu erinnern. Wir haben dazu im Nachgang eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Am 19. Dezember 1980 wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke Opfer eines antisemitischen Mordanschlags. Der Täter war Burschenschafter und Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann.
In der Mehrheitsgesellschaft blieb ein öffentlicher Aufschrei aus. Die Ermittlungsbehörden zogen ein antisemitisches Tatmotiv lange Zeit nicht in Betracht.
Bis heute gibt es kein würdiges Gedenken in Erlangen. Die Lewin-Poeschke-Anlage bietet keinerlei Informationen über die anti-semitischen und neonazistischen Hintergründe des Doppelmordes, entpolitisiert die Tat und schiebt das Gedenken an den Rand der Innenstadt. Eine vom Stadtrat beschlossene Neugestaltung lässt seit drei Jahren auf sich warten.

Schluss mit falschem Heldengedenken!
​​​​​Bismarck war Antidemokrat und ein zentraler Ermöglicher des deutschen Kolonialismus, Lorleberg war überzeugter Offizier im Angriffskrieg der Wehrmacht. Beiden wird in Erlangen mit zentralen Straßen gedacht. Nach diesen beiden “großen Männern” Straßen zu benennen, mystifiziert Geschichte und blendet die Opfer ihrer Entscheidungen und Handlungen aus.

Wir fordern:
Shlomo-Lewin-Straße statt Bismarckstraße!
Frida-Poeschke-Platz statt Lorlebergplatz!

Und wir fordern einen würdigen Gedenkort für Shlomo Lewin und Frida Poeschke. Einen Ort, der sie als Personen ebenso sichtbar macht, wie ihren Einsatz für jüdisches Leben, gegen Neonazis und Antisemitismus. Einen Gedenkort, der den antisemitischen und neonazistischen Hinter-grund ihrer Ermordung benennt, anstatt den Mord zu entpolitisieren. Einen Ort, der auch das Versagen der Erlanger und der deutschen Mehrheitsgesellschaft, ihre Blindheit für antisemitischen und rechten Terror damals und heute nicht verschweigt. Einen Ort, der zur Auseinandersetzung mit der Kontinuität rechter und antisemitischer Gewalt anregt.

Gegen das Vergessen.
Gegen den rechten Terror.
Gegen den antisemitischen Normalzustand.

Für eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können.


Das Bild zeigt Shlomo Lewin und Frida Poeschke und ruft zur Gedenkveranstaltung auf

Gedenkdemonstration 2023

In Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke am 19.12.2023 um 17.30 Uhr am Lorlebergplatz in Erlangen

Vor dreiundvierzig Jahren, am 19. Dezember 1980, wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen Opfer eines antisemitischen Mordanschlags. Der Täter Uwe Behrendt war Burschenschafter und Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. In der Mehrheitsgesellschaft blieb ein öffentlicher Aufschrei aus und die Ermittlungsbehörden haben ein antisemitisches Tatmotiv lange Zeit nicht in Betracht gezogen. Normalität in Deutschland im Jahr 1980.

Deutsche Normalität heute ist auch, dass sich nach dem Massaker der Hamas am 7.10.2023 keine Welle der Solidarität, sondern ein antisemitisches Lauffeuer aus allen Seiten der Gesellschaft entfacht hat. Am 7. Oktober starben mehr Jüdinnen und Juden als an jedem anderen Tag seit der Shoah. Bereits kurz nach dem Massaker wurde weltweit der antisemitische Terror offen als islamistischer Jihad, als „Befreiungskampf“, „Widerstand“ oder als Akt der „Dekolonisierung“ begrüßt. In Deutschland sind in diesem Zuge die antisemitischen Straf- und Gewalttaten sprunghaft angestiegen, sodass sich seit dem 7. Oktober die Gefahrenlage für Jüdinnen und Juden massiv verschärft hat. Antisemitische Parolen, körperliche Übergriffe, Markierungen an Häusern in denen angeblich Jüdinnen und Juden wohnen und Angriffe auf Synagogen und Gedenkstätten sind Teil der deutschen Normalität. Gleichzeitig wird dieses Klima von vielen, unter anderem führenden deutschen Politiker*innen, zum Anlass genommen, den eigenen Antisemitismus abzuspalten und mit dem Narrativ des “importierten Antisemitismus” rassistische Ideologie und Politik bis hin zu Abschiebungen zu legitimieren. Das ist bestenfalls selektive Antisemitismusbekämpfung, bleibt aber als solche zweifelhaft wenn man gleichzeitig beste Geschäftsbeziehungen zu den Regierungen in Katar, dem Iran oder der Türkei unterhält und deutsche Antisemit*innen mehrheitlich ignoriert.

Diese antisemitischen und rassistischen Zustände sind nicht alternativlos. Wir wollen ihnen deshalb am 19.12.2023 entschieden entgegentreten. Zusammen wollen wir Shlomo Lewin und Frida Poeschke ein würdiges Gedenken schaffen und darüber auch unsere Solidarität mit allen Jüdinnen und Juden auf die Straße tragen, die antisemitischer Gewalt ausgesetzt sind.

Kommt zahlreich und schließt euch dem Gedenken und der Demonstration an!   

Gegen das Vergessen. Gegen den antisemitischen Normalzustand.


Ausgewähltes aus 2022 und 2023

Cover des Buches "Der Halle-Prozess: Hintergründe und Perspektiven"

Beitrag für Sammelband zum Halle-Prozess

Zu dem Sammelband “Der Halle-Prozess: Hintergründe und Perspektiven” haben wir einen Beitrag beigesteuert, in welchem wir unsere Thesen zum Gedenken als Kritik neu verhandelt haben.

Der Sammelband beleuchtet Aspekte des juristischen Verfahrens gegen den rechtsterroristischen Täter des Anschlags in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019 und darüber hinaus Hintergründe der Tat und Dimensionen der Betroffenheit. Interviews, Essays und wissenschaftliche Beiträge bieten Zugänge und eröffnen Perspektiven: Welche Berücksichtigung müssen der Antifeminismus und die Frauenfeindlichkeit des Anschlags finden? Welche Bedeutung hat die Praxis, den Namen des Täters nicht zu nennen? Welche Rollen spielen kritisches Erinnerung und Gedenken? Wie finden wir Formen praktischer Solidarität gegen Antisemitismus und Rassismus?

Titelbild des Podcasts "Doing Memory" Zu sehen sind der Untertitel "Für eine plurale Gesellschaft" sowie die beide moderierenden Personen Tanja Thomas und Fabian

Podcast-Folge “Doing Memory”

Beim Podcasts “Doing Memory. Für eine plurale Gesellschaft” waren wir in der Folge “Umkehr von Täter und Opfer – Erinnerung an die Ermordung von Shlomo Lewin und Frida Poeschke” zu Gast und haben über den Doppelmord, unsere Arbeit und Gedenken als Kritik gesprochen.

In der Podcast-Reihe “Doing Memory” sprechen Tanja Thomas und Fabian Virchow mit Menschen über ihre Erfahrungen mit rechter Gewalt und das Erinnern, über Schmerz und Missachtung und prekäre Bedingungen in der Erinnerungsarbeit. Im Podcast geht es aber auch um Protest und Mut, Kunst, Musik und Poesie. Die Gesprächspartner:innen sind Aktivist:innen, Betroffene, Journalist:innen, Künstler:innen und Forscher:innen. Jede Folge beleuchtet ein Ereignis rechter Gewalt, erinnert an die Opfer und Betroffenen und thematisiert Besonderheiten der damit verbundenen Erinnerungsarbeit.

Ein Werbebild für das NSU-Tribunal in Nürnberg 2022. Es trägt die Schlagworte "Anerkennen. Aufklären. Verändern" sowie Ort und Termin der Veranstaltung

Workshop zu kritischem Gedenken auf dem NSU-Tribunal

Auf dem Tribunal “NSU-Komplex auflösen!” vom 3.-5. Juni 2022 in Nürnberg haben wir gemeinsam mit der Erinnerungsgruppe München einen Workshop mit dem Titel “Wie kann Gedenken kritisch bleiben? Vernetzungsworkshop von Gedenk-Initiativen” durchgeführt.

Bis heute ist die versprochene „lückenlose Aufklärung“ im NSU-Komplex weit entfernt. Initiativen und Einzelpersonen, die mit den Betroffenen der NSU-Mord- und Anschlagserie solidarisch verbunden sind, entwickelten die Idee eines Tribunals, das diese Leerstelle besetzt. Der NSU-Komplex wird dabei gedacht als ein Kristallisationspunkt strukturellen Rassismus. Das Tribunal ist damit ein Ort der gesellschaftlichen Anklage von Rassismus. Die Berichte der Betroffenen und Angehörigen stehen im Mittelpunkt. Ihre Geschichte gilt es zu hören und zu verstehen. Angeklagt werden die Akteur*innen des NSU-Komplex mitsamt ihrer institutionellen Einbettung. Beklagt werden die Opfer rassistischer Gewalt und das entstandene Leid. Eingeklagt wird das Prinzip einer offenen, durch Migration entstandenen Gesellschaft der Vielen.


Aufruf zur Demo

In Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

Gedenkdemonstration am 19.12.2022 um 16.30 Uhr – Beşiktaş-Platz

Vor zweiundvierzig Jahren, am 19. Dezember 1980, wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen Opfer eines antisemitischen Mordanschlags. Der Täter Uwe Behrendt war Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. In der Stadtgesellschaft hat die Tat nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und die Ermittlungsbehörden haben ein antisemitisches Tatmotiv lange Zeit nicht in Betracht gezogen. Normalität in Deutschland im Jahr 1980.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) zählte für das Jahr 2021 rund 82 Prozent mehr antisemitische Vorfälle als im Jahr zuvor – insgesamt 447. Sie gehören in Bayern und auch in Deutschland weiterhin zur Normalität. Antisemitische Taten sind so normal, dass die Schüsse auf das Rabbinerhaus bei der Alten Synagoge in Essen Mitte November zwar schnell zur erwartbaren öffentlichen Empörungsroutine geführt hatten, aber genauso schnell aus dieser Öffentlichkeit auch wieder verschwanden. Eben diese Normalität ist es, die uns weiterhin verstören muss. Und deshalb wollen wir sie stören.

Und so schließen wir – die initiative kritisches gedenken und die Gruppe Antithese – unserer Gedenkkundgebung in diesem Jahr eine Demonstration an, die im beschaulichen Vorweihnachtsbummel in der Erlanger Innenstadt genau das sein soll: ein Störfaktor.

Wir wollen den getöteten Menschen – Shlomo Lewin und Frida Poeschke – ein würdiges Gedenken schaffen. Und wir wollen die Zustände anklagen, die rechten Terror und antisemitisch motivierte Taten ermöglicht haben und immer wieder ermöglichen.

Kommt zahlreich und schließt euch dem Gedenken und der Demonstration an!   

Gegen das Vergessen und die Kontinuität rechten Terrors. Gegen deutsche Normalität. Gegen jeden Antisemitismus!


Erscheinungsformen des modernen Antisemitismus – Vortrag und Diskussion mit Nina Rabuza

16. Dezember 2022, 19 Uhr im Zentrum Wiesengrund

Antisemitismus ist Teil des deutschen Alltags. Er manifestiert sich als offener Hass auf Jüdinnen und Juden, wie in dem antisemitischen Terroranschlag 2019 in Halle; aber auch in Karikaturen, die antisemitische Bildsprachen nutzen, in Verschwörungstheorien oder als „Israelkritik“. Ob eine Äußerung oder eine Darstellung antisemitisch ist, ist häufig umstritten, insbesondere dann, wenn sie von Menschen stammen, die nicht der rechten oder neonazistischen Szene angehören. Antisemitische Einstellungen sind aber nicht nur ein Phänomen in der politischen Rechten, sondern finden sich in einem breiten politischen Spektrum und in allen gesellschaftlichen Schichten. Antisemitismus ist dabei mehr als ein Vorurteil. Er dient als Welterklärungsmodell, das “die Juden” verantwortlich macht für gesellschaftliche Probleme und politische Konflikte. In dem Einführungsvortrag werden aktuelle und historische Erscheinungsformen des Antisemitismus thematisiert und diskutiert, welche gesellschaftliche Funktion der Antisemitismus in der Moderne einnimmt.

Nina Rabuza forscht zu Kritischer Gesellschaftstheorie, Erinnerungsarbeit und Theorien des Antisemitismus. Sie hat u.a. zu Antisemitismus und queer theory publiziert.


THE POWER OF SAYING NO – Kunst, Bildung und Aktivismus im Kontext antifaschistischen Gedenkens

Mit Talya Feldman und Bîşenk Ergin haben wir im Mai 2022 über Kunst, Bildung und Aktivismus im Kontext antifaschistischen Gedenkens gesprochen. Zu Wort kommen außerdem verschiedene antifaschistische Gedenkinitiativen. Die Videoaufzeichnung der Veranstaltung im Staatstheater Nürnberg findet ihr jetzt auf unserem YouTube-Kanal:


THE POWER OF SAYING NO – Kunst, Bildung und Aktivismus im Kontext antifaschistischen Gedenkens

Veranstaltung am Donnerstag, 5. Mai 2022, 19:30 Uhr, Staatstheater Nürnberg

Ein Gespräch zwischen Talya Feldman (Künstlerin und Aktivistin), Bîşenk Ergin (Bildungsreferetin) und der initative kritisches gedenken.

Seit der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 sind in Deutschland zahlreiche antifaschistische Gedenkinitiativen entstanden. Auch die initiative kritisches gedenken gründete sich 2019 vor diesem Hintergrund um an den antisemitischen Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke 1980 in Erlangen zu erinnern.

Ausgehend von einer aktivistischen und theoretisch inspirierten Arbeit an Fragen des Gedenkens als Kritik haben sich die Schwerpunkte ihrer Arbeit im Verlauf der vergangenen beiden Jahre kontinuierlich weiterentwickelt. Aber auch die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen des Gedenkens verändern sich stetig. Einem bundesweiten Netzwerk von kritischen Gedenk- und Betroffeneninitiativen steht ein deutscher Staat gegenüber, dessen Vertreter*innen rhetorisch signalisieren, dazugelernt zu haben, dessen Praxis aber sowohl der Verhinderung als auch der Aufarbeitung rechter Anschläge oft entgegensteht. Vor diesem Hintergrund haben sich für die Initiative verschiedene Fragen ergeben: Welche Formen des Erinnerns und Gedenkens im öffentlichen Raum befördern eine kritische Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart? Welche Rolle spielen dabei Kunst, Aktivismus und Bildungsarbeit? Können diese, als verschieden Formen der Erinnerungsarbeit einer Insitutitionalisierung, Ritualisierung und Instrumentalisierung von Erinnerung und Gedenken von staatlicher Seite entgegenwirken?

Diese und weitere Themen wird die initiative kritisches gedenken mit Talya Feldman (Künstlerin und Aktivistin) und Bîşenk Ergin (Referentin der politischen Bildungsarbeit, BiLaN Hessen) diskutieren.


Rückblick: Gedenkkundgebung am 19.12.2021

Am 19.12.2021 fand unsere Kundgebung in Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen statt. Trotz der antifaschistischen Proteste in Nürnberg haben über 100 Menschen teilgenommen und an das antisemitische Attentat vom 19.12.1980 erinnert.

#KeinVergessen #RechterTerror

Den kompletten Rückblick auf die Gedenkkundgebung findet ihr im Twitter-Thread


Aufruf: Gedenkkundgebung am 19.12.2021

Am 19. Dezember jährt sich das antisemitische Attentat auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke zum 41. Mal. Gemeinsam mit der Gruppe Antithese veranstalten wir wie jedes Jahr wieder eine Gedenkkundgebung.
Sie beginnt am 19.12.2021 um 15:30 Uhr auf dem Marktplatz in Erlangen.


Rückblick: Gedenkkundgebung am 22. Juli 2021

Erinnern heißt verändern – Rechten Terror stoppen.
Bild: initiative kritisches gedenken erlangen

Pressemitteilung KUNDGEBUNG in Gedenken an die Opfer der Anschläge von Oslo, Utøya und München 

22.07.2021

Über 70 Personen nahmen an der Kundgebung „Erinnern heißt verändern – Rechten Terror stoppen“ am 22.07.2021 am Rathausplatz in Erlangen teil. Auf der Kundgebung wurde den Opfern der rechtsterroristischen Anschlägen von Oslo und Utøya 2011 und München 2016 gedacht.
Vor zehn Jahren wurden in Oslo und auf der norwegischen Insel Utøya 77 Menschen durch einen rechten Attentäter ermordet, darunter viele Kinder und Jugendliche eines Feriencamps. Weitere Personen wurden verletzt. 5 Jahre später tötete eine Mann aus überwiegend rassistischen und antiziganistischen Motiven acht Personen im Olympia-Einkaufszentrum München. Die initiative kritisches gedenken erlangen e. V. und die Erlanger Jusos luden aus diesem Grund zu einer Gedenkkundgebung am 22.07.2021 um 17.30 Uhr am Rathausplatz in Erlangen ein. 
“Unser Gedenken muss sich gegen das Vergessen richten, denn wenn die Opfer rechter Morde in Vergessenheit geraten, dann waren die Täter erfolgreich darin, sie zum Verschwinden zu bringen”, lautete es in der Rede der Initiative. Um dem Vergessen der Opfer etwas entgegen zu setzen, wurden die Namen aller Opfer auf Schildern auf der Kundgebung sichtbar gemacht und laut verlesen.Neben dem Gedenken an die Opfer kritisierten die Veranstalter:innen den Umgang mit den Attentaten. So sei das Attentat in München bis zur offiziellen Anerkennung als rechtsterroristische Tat 2019 entpolitisiert worden. Außerdem fehle bis heute eine intensive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gründen für Rechtsterrorismus, wie beispielsweise Rassismus.Die initiative kritisches gedenken zeigte in ihrer Rede den Zusammenhang der Taten in Oslo und Utøya, München und weitere rechtsterroristischer Taten der vergangenen Jahre auf:„Was sie eint ist ihr rassistisches, antisemitisches, misogynes und antikommunistisches Weltbild – was sie eint ist der Glaube, sich im Krieg gegen eine wachsende Bedrohung zu befinden – einem Krieg in dem sie durch Mordanschläge zu Helden werden können“.

Aufruf zur Gedenkkundgebung

22. Juli 2021 // 17:30 Uhr // Rathausplatz

Die initiative kritisches gedenken und die Jusos Erlangen organisieren eine Kundgebung im Gedenken an die Opfer der rechtsterroristischen Anschläge von Utøya und Oslo am 22. Juli 2011 und München am 22. Juli 2016.
Mit unserer Kundgebung klagen wir die Verhältnisse an, die solche Anschläge immer wieder ermöglicht haben. Ob in Utøya, Oslo und München oder in Hanau, Halle und Christchurch. Diese Terroristen waren keine „verrückten Einzeltäter“ – sie verstanden sich als Kämpfer gegen den sogenannten großen Austausch, eine antisemitische und rassistische Verschwörungsideologie der extremen Rechten. Sie waren national und international gleichsam vernetzt wie unterstützt und eiferten einander nach. So wählte der rechtsterroristische Attentäter von München gezielt den Jahrestag des Anschlags von Utøya und Oslo.
Im Umgang von Behörden, Medien und Mehrheitsgesellschaft mit Opfern, Betroffenen und Angehörigen zeigt sich fehlende Sensibilität, Nachlässigkeit, Unwillen und Ignoranz. Die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber rassistischen Narrative motiviert nicht nur die Täter, sie reproduziert ebensolche Strukturen in Polizei und Justiz. So dauerte es allein über drei Jahre, bis die Behörden das rassistische Motiv des Anschlags von München am 22. Juli 2016 anerkannten und folgten damit viel zu spät einer Einschätzung, zu der Angehörige der Opfer, antifaschistische Gruppen und Wissenschaftler:innen schon kurze Zeit nach dem Anschlag gekommen waren.
Wir fordern ein Ende der antisemitischen und rassistischen Diskurse, die solche Taten ermöglicht haben und immer wieder ermöglichen. Wir fordern ein konsequentes Vorgehen gegen institutionellen Rassismus und rechte Strukturen in staatlichen Institutionen. Nazis raus aus Polizei, Behörden und den Parlamenten!
Kommt zahlreich und schließt euch dem Gedenken und dem Protest an. Tragt Mund-und-Nasenschutz und haltet den Mindestabstand von 1,5 Metern ein.

ERINNERN HEISST VERÄNDERN.
RECHTEN TERROR STOPPEN.


Aufruf zur Gedenkkundgebung

Gemeinsam mit der gruppe antithese rufen wir für den 19. Februar zur Kundgebung im Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau auf >> Zum Aufruf bei gruppe antithese.


+++ RÜCKBLICK AUF 2020 +++

Kundgebung zum 40. Jahrestag des antisemitischen Attentats auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke

Rückblick auf die Kundgebung in unserem Twitter-Thread.

Aufruf

Am 19. Dezember 1980 wurden Shlomo Lewin und Frida Poeschke in ihrem Wohnhaus in Erlangen ermordet. Ein Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann tötete sie aus antisemitischen Motiven. 

Shlomo Lewin (1911) entkam der nationalsozialistischen Verfolgung, kämpfte im israelischen Unabhängigkeitskrieg für die Hagana und lebte nach der Staatsgründung in Israel. Nachdem er 1960 nach Deutschland zurückgekehrt war, war er als Rabbiner und Verleger von Judaica tätig und Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, sowie der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Frida Poeschke (1923), deren Lebensgefährte Shlomo Lewin in dieser Zeit wurde, engagierte sich gemeinsam mit ihm für christlich-jüdische Verständigung. Immer wieder warnte Shlomo Lewin öffentlich vor der Gefahr, die von Neonazis ausgeht und rief dazu auf, sie zu bekämpfen. Doch diese Warnungen wurden wie viele andere nicht gehört oder nicht ernst genommen. Vielmehr wurde die Wehrsportgruppe Hoffmann von der CSU-Regierung über Jahre hinweg verharmlost und geduldet.

Nach dem Mord an Frida Poeschke und Shlomo Lewin verdächtigten die Ermittlungsbehörden vor allem das persönliche Umfeld der Opfer und ermittelten erst spät ernsthaft in Richtung rechter Strukturen, wie der unweit von Erlangen in Ermreuth ansässigen Wehrsportgruppe Hoffmann. In der Medienberichterstattung wurden die Opfer durch haltlose Gerüchte und eine anklingende Täter-Opfer Umkehr diffamiert und fremd gemacht. Im Gegensatz zu den jüdischen Gemeinden, in denen Entsetzen über die Tat herrschte, gab es in der Mehrheitsgesellschaft keinen Aufschrei und keine Solidarisierung mit den Opfern. Juristisch wurde niemand für die Tat belangt. Der Mörder, der bis heute als Einzeltäter gilt, soll Suizid begangen haben und alle Angeklagten im Strafprozess wurden vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen. Weil kein Gedenken etabliert wurde, aber vor allem, weil keine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechtem Terror stattfand gerieten das Attentat, die Opfer und der politische Hintergrund mehr und mehr in Vergessenheit.

Wie auch im Fall anderer rechtsterroristischer Morde im Jahr 1980 – das Oktoberfestattentat in München und der rassistische Brandanschlag in Hamburg, bei dem Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân getötet wurden – erinnert bei dem antisemitischen Attentat auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke vieles an den rechten Terror der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart. So wie die Anfänge und Ursprünge des rechten Terrors in Deutschland weit vor 1980 liegen, ist auch seine Kontinuität bis heute nicht gebrochen.  

Dieses Jahr, am 19. Dezember 2020, jährt sich das antisemitische Attentat zum 40. Mal. Zu diesem Anlass findet um 17.30 Uhr eine antifaschistische Gedenkkundgebung an der Lewin-Poeschke-Anlage in Erlangen mit anschließender Demonstration statt. Gemeinsam wollen wir Shlomo Lewin, Frida Poeschke und allen Opfern rechter Gewalt gedenken. Wir wollen daran erinnern, dass es sich bei den unzähligen rechten Morden nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass sie Teil einer langen Geschichte rechten Terrors und das Resultat einer rassistischen, antisemitischen Normalität sind.

Nur wenn wir der Entpolitisierung rechter Morde entgegentreten und die Zusammenhänge erkennen und benennen, haben wir dem Fortwirken der Vergangenheit in der Gegenwart etwas entgegenzusetzen. 

Gegen das Vergessen und die Kontinuität des rechten Terrors! 

Für die Gesellschaft der Vielen!


Veranstaltung aus der Reihe “Damals! Und heute? Rechte Kontinuitäten in Erlangen” (PDF)


Kontinuität – Vergessen – Gedenken. Rechter Terror in Deutschland seit 1980

Podiumsdiskussion mit Seda Ardal, Ibrahim Arslan, Martina Renner und Max Czollek

Link zur Aufzeichnung: https://youtu.be/5zVdT63GXTA

Über die Veranstaltung
Im Dezember 1980 wurden in Erlangen Shlomo Lewin und Frida Poeschke Opfer eines antisemitischen Mordanschlags. Der Täter Uwe Behrendt war Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann, die unweit von Erlangen ihr Hauptquartier hatte. Ein antisemitisches Tatmotiv wurde von den Ermittlungsbehörden lange Zeit nicht in Betracht gezogen. In der Stadtgesellschaft hat die Tat nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und ist über viele Jahre in Vergessenheit geraten. Das Podium wird an diesem Abend anlässlich des 40. Jahrestages der Ermordung von Shlomo Lewin und Frieda Poeschke über die Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland und die lange Geschichte des Vergessens der Tat in Erlangen und anderenorts sprechen. Welche Bedeutung hat das Gedenken an diese Taten? Welcher Zusammenhang kann zwischen rechten Gewalttaten der Vergangenheit und aktuellen Ereignisse, wie beispielsweise in Halle und Hanau gezogen werden? Ibrahim Arslan hat den rassistischen Brandanschlag in Mölln 1992 überlebt bei dem drei Angehörige seiner Familie ums Leben kamen. Seit 2007 kämpft er für die Sichtbarkeit von Betroffenen rechter Gewalt und deren Perspektive in Politik und Öffentlichkeit. Martina Renner, Bundestagsabgeordnete für Die Linke. Sie ist Sprecherin der Bundestagsfraktion für antifaschistische Politik und Expertin auf dem Gebiet rechten Terrors. Max Czollek, Lyriker und Autor. Als Mitherausgeber der Zeitschrift Jalta macht er zeitgenössische jüdische Positionen sichtbar. Außerdem befasst er sich mit der Rolle von Jüdinnen und Juden in der deutschen Erinnerungskultur und streitet für eine plurale Gesellschaft. Seda Ardal ist Autorin und Aktivistin in der “Initiative 19. Februar Hanau”, die für Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen in Bezug auf den rassistischen Terroranschlag in Hanau und gegen die allgegenwärtige rassistische Gefahr kämpfen.

Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit Bildung Evangelisch in Europa und wird finanziell gefördert vom Bundesprogramm Demokratie leben!

Sie findet im Rahmen der Reihe “Damals! Und heute? Rechte Kontinuitäten in Erlangen” (PDF) statt.


+++ BEITRÄGE, INTERVIEWS UND VIDEOS +++

Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt
Buchvorstellung und Gespräch mit Ronen Steinke
25. Oktober 2020 um 16 Uhr im E-Werk Erlangen

Zur Videoaufzeichnung der Veranstaltung mit Ronen Steinke bei YouTube


Redebeitrag auf der Kundgebung “Gegen jeden Antisemitismus!” am 9. Oktober 2020 in Erlangen (Mitschnitt Radio Bambule / Radio Z)


Gedenken als Kritik – Interview mit Radio Corax im Oktober 2020


#Halleprozess: Wie kann kritisches Gedenken aussehen? Interview mit Radio Corax im Juli 2020


#mehrals40jahre – Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland
Antifaschistische Demonstration. Aufruf und Infos: 40jahre.nonazis.net | Instagram
26. September 2020 um 13 Uhr am Gollierplatz, München


Am 19.12.2019 organisierten wir wieder gemeinsam mit der Gruppe Antithese die jährliche Gedenkkundgebung für Shlomo Lewin und Frida Poeschke in der Erlanger Innenstadt


Am 04.10.2019 hielten wir unseren Vortrag “Der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke” in der Pracht in Leipzig.


Einladung zur Diskussionsrunde “Wie können wir kritisches Gedenken denken?”

Hier findet ihr den Einladungstext

Wir, die initiative kritisches gedenken erlangen, befassen uns mit der Aufarbeitung des antisemitischen Attentats auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke, das am 19. Dezember 1980 in Erlangen von dem Neonazi Uwe Behrendt verübt wurde. Behrendt, ein rechter Burschenschafter, war Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann und entging der Strafverfolgung durch eine Flucht in den Libanon, wo er aus ungeklärten Umständen zu Tode kam. Wie später auch bei den Taten des NSU ermittelten die staatlichen Behörden zunächst im persönlichen Umfeld der Ermordeten.

Um an die Ermordung von Shlomo Lewin und Frida Poeschke zu erinnern, organisieren wir jedes Jahr am 19. Dezember eine öffentliche Gedenkveranstaltung in der Erlanger Innenstadt. Da öffentliches Gedenken, wenn es die Opfer nicht selbst noch einmal verhöhnen will, sich gegen die Verhältnisse wenden muss, die sie erst in den Stand des Opferseins versetzt haben, wollen wir dieses Gedenken als Analyse und Kritik jener Verhältnisse formulieren. Dazu gehören in unserem Fall unter anderem die Analyse und Kritik des modernen Antisemitismus in seinen historischen und aktuellen Erscheinungsformen, eine Kritik staatlicher Institutionen und Akteur*innen, ihrer Rolle im Prozess der Strafverfolgung und Aufklärung, sowie in der Organisation des offiziellen Gedenkens, und eine Analyse der Täter*innen und ihrer Strukturen.

Die verschiedenen Analyseperspektiven wollen wir schließlich in einer Broschüre, einer multimedialen Internetseite und in Ausstellungen vereinen. Diese Formen der Veröffentlichung sollen dazu beitragen, das Attentat und seine Opfer Frida Poeschke und Shlomo Lewin nicht dem Vergessen zu überlassen, auf die Aktualität der Gefahr hinzuweisen und den ganzen Komplex auch überregional bekannt und der historischpolitischen Bildungsarbeit zugänglich zu machen.

Unsere Perspektiven und Positionen, unsere blinden Stellen und Projektionen, möchten wir dabei explizit reflexiv in den Arbeitsprozess miteinbeziehen. Statt einer kollektiven Selbstvergewisserung, wie sie das offizielle Gedenken, beispielsweise staatlicher Institutionen, zum Ziel hat, streben wir die kollektive Selbstverunsicherung an. Zu diesem Zweck möchten wir mit anderen antifaschistischen Initiativen und Akteur*innen über Theorie und Praxis kritischen Gedenkens diskutieren. Als Grundlage für eine gemeinsame Diskussion haben wir im Verlauf der letzten Monate ein Thesenpapier erarbeitet, das wir mit euren Themen, Erfahrungen und Perspektiven konfrontieren wollen. In der gemeinsamen Auseinandersetzung können wir dann zum Beispiel über Probleme und Herausforderungen in Theorie und Praxis kritischen Gedenkens und über Vernetzungsmöglichkeiten sprechen.

Wir laden euch deshalb am 01.06.2019 nach Erlangen ein. Für Getränke und Verpflegung wird gesorgt sein und einige Schlafplätze können wir bei Bedarf ebenfalls organisieren. Wenn ihr kommen möchtet, meldet euch kurz bei uns unter kontakt@kritischesgedenken.de an. Alles weitere zum genauen Ablauf des Tages klären wir dann im persönlichen Kontakt, sofern möglich und gewünscht natürlich verschlüsselt. Im Anschluss an die Veranstaltung wird es einen Kneipenabend geben.

Die Thesen zur Diskussion findet ihr hier auf der Homepage unter “Gedenken als Kritik”.

Solidarische Grüße und hoffentlich bis dahin, initiative kritisches gedenken erlangen


Gedenkkundgebung für Shlomo Lewin und Frida Poeschke am 19.12.2018.

Hier der Text des ausgegebenen Flugblatts

Wir gedenken hier dem Erlanger Rabbiner und Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke, die heute vor 38 Jahren, am 19. Dezember 1980 Opfer eines antisemitischen Attentats wurden. Gemeinsam engagierten sie sich im Sinne des christlich-jüdischen Dialogs. Begangen wurden die Morde von Uwe Behrendt, einem Neonazi aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann. Behrendt blieb aufgrund von mangelhafter Ermittlungsarbeit und fehlender Strafverfolgung nach der Tat ausreichend Zeit sich in den Libanon abzusetzen. Durch seinen mutmaßlichen Selbstmord konnte er sich der Strafverfolgung endgültig entziehen.

Wie bereits für die Zeit nach 1945 gilt, ist auch nach 1980 der Antisemitismus in Deutschland nicht verschwunden. Es lassen sich deutliche Kontinuitäten erkennen. Nicht nur daran, dass Karl-Heinz Hoffmann, der den Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Auftrag gegeben haben soll auch heute aktiv bei Veranstaltungen in alten und neuen rechten Zusammenhängen in Erscheinung tritt. So zum Beispiel auch 2015 bei der rechtsintellektuellen Messe Zwischentag in der Burschenschaft Frankonia in Erlangen.

Antisemitismus ist gesamtgesellschaftlich präsent. Studien wie die Leipziger Autoritarismusstudie oder Zahlen der Online Meldestelle für antisemitische Vorfälle RIAS verdeutlichen jedes Jahr aufs Neue, dass antisemitische Einstellungen, Äußerungen und Taten keineswegs verschwunden, sondern äußerst aktuell sind. Sie zeigen auch, dass Antisemitismus ein Massenphänomen ist, das eben nicht nur an den vermeintlichen Rändern der Gesellschaft existiert. Dass antisemitische Äußerungen und Taten dennoch häufig nicht dokumentiert werden liegt sicher auch daran, dass bis heute nur wenige systematische Versuche in diese Richtung unternommen wurden. Hinzu kommt, dass antisemitische Äußerungen und Taten oft gar nicht erst als solche erkannt und benannt werden. Es existiert also eine Diskrepanz zwischen dem vorherrschenden gesellschaftlichen Selbstbild, den Antisemitismus überwunden zu haben und den tatsächlichen Verhältnissen. Der aktuelle Vormarsch faschistischer Bewegungen in Deutschland und der ganzen Welt fördert zudem ein Klima, das antisemitische Äußerungen und Taten motiviert. Dies verhindert, Antisemitismus zu erkennen, zu verurteilen und zu bekämpfen.

Die gesellschaftliche und institutionelle Blindheit für Antisemitismus ist zum einen auf ein falsches Verständnis von Antisemitismus zurückzuführen, welches es unmöglich macht, diesen in seinen zeitgenössischen Erscheinungsformen zu erkennen. Zum anderen liegt dieser Blindheit oft ein Wunsch und Glaube, nicht antisemitisch zu sein, zu Grunde. Gerade für Deutschland, das den industriellen Massenmord an 6 Millionen Jüdinnen und Juden organisierte und durchführte, war es nach dem Ende des Nationalsozialismus 1945 entscheidend, ein Selbstbild zu entwickeln, aus dem Antisemitismus ausgeschlossen war. Dadurch wurde es möglich, das Fortbestehen als Nation zu rechtfertigen und einen positiven Selbstbezug zu wahren. Dazu war es auch notwendig, offen antisemitische Äußerungen zu tabuisieren. Die Tabuisierung hatte jedoch nicht zur Folge, dass es in Deutschland nach 1945 keinen Antisemitismus mehr gab und auch nicht, dass es keinen offenen Antisemitismus mehr gab. Es bedeutete jedoch durchaus, dass Antisemitismus zunehmend stärker zu neuen, verkleideten Formen des Ausdrucks finden musste und in Folge kollektiv verharmlost und verschwiegen wurde.

Wir wollen heute dem neonazistischen Attentat auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke gedenken. Wir verbinden dieses Gedenken, um seinen mahnenden Charakter deutlich zu machen, mit der Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse. Denn in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen ist Antisemitismus auch heute angelegt, lebt Antisemitismus fort und gedeiht. Nur wenn Antisemitismus als solcher erkannt und in seiner Dynamik verstanden wird, ist es möglich ihn überall wo er zu Tage tritt zu kritisieren, ihm entgegen zu treten und ihn zu bekämpfen. Nur wenn es gelingt, das Fortbestehen der Bedingungen der Ermordung Shlomo Lewins und Frida Poeschke im Hier und Jetzt aufzuzeigen und mit aktuellen antisemitischen Ereignissen und Erscheinungsformen in Verbindung zu bringen, kann das gefährliche Potential des Antisemitismus und seine Aktualität überhaupt erst eingeschätzt werden.

Antisemitismus begreifen

Obwohl Antisemitismus immer auch Vorurteil ist, ist der Begriff nicht auf diesen Aspekt beschränkt. Vielmehr bezeichnet er ein komplexes und dynamisches Phänomen, dem in modernen Gesellschaften und in der Psyche der Einzelnen eine bestimmte Funktion zukommt. Antisemitismus ist eine Reaktion auf die moderne Gesellschaft und das Leben in ihr. Er ist eine Reaktion auf Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens, welche sich dem Bewusstsein der Einzelnen entziehen. Als Denkform verspricht Antisemitismus, Lücken im Verständnis der eigenen sozialen Beziehungen zu schließen. Er verspricht Ängste und Unsicherheiten zu lindern. Er bietet dem Individuum eine ideologische Form der Welterklärung und dadurch auch eine Bewältigungsstrategie für das individuelle Leiden an der Gesellschaft. Antisemitismus vereinfacht abstrakte gesellschaftliche Verhältnisse und bietet eine Einteilung in Gut und Böse, unschuldig und schuldig, Angehörige und Ausgestoßene an.

Im Bild des Juden und des vermeintlich Jüdischen finden Antisemit*innen eine Projektionsfläche, auf die negativ empfundene Aspekte der modernen Gesellschaft und die eigenen unterdrückten Wünsche und Bedürfnisse geworfen werden können. Durch psychische Projektionen und personelle Zuschreibungen werden Jüdinnen und Juden und alle die mit vermeintlich jüdischen Eigenschaften verbunden werden, zum andauernden gesellschaftlichen Sündenbock gemacht. Jüdinnen und Juden stehen im antisemitischen Weltbild stellvertretend für die gesellschaftliche Grundlage der eigenen Kränkungen und Überforderungen. Daraus leitet sich der hartnäckige Glaube an eine jüdische Weltverschwörung ab und genau darin liegt das tatsächliche Gefahrenpotential. Antisemitismus ist deshalb nicht nur Vorurteil. Es kann keinen Antisemitismus ohne die Tendenz zur Vernichtung geben. Denn wenn alles Schlechte, Unerwünschte und Verbotene erst einmal auf ein Ersatzobjekt projiziert und damit der vermeintlich Schuldige gefunden ist, so wird es auch möglich, ihn in dieser Funktion zu bestrafen, zu verfolgen und zu vernichten.

Antisemitismus ist also immer gleichzeitig eine ideologische Welterklärung und eine Form der Abwehr. Zum einen eine Abwehr sozialer und persönlicher Ängste, zum anderen eine Möglichkeit der Abwehr kollektiver Schuld. In besonderem Maße gilt dies für Deutschland. Gerade in der Art und Weise der deutschen Aufarbeitung der Shoah, beziehungsweise schon in deren jahrzehntelangem Ausbleiben wird das kollektive Bedürfnis, sich seiner Schuld zu entledigen, überdeutlich. So hoffen die einen, endlich den viel geforderten Schlussstrich ziehen zu dürfen, um sich als demokratisches und offenes – also als geläutertes Deutschland darstellen zu können. Anderen ist an Offenheit und Demokratie nicht gelegen, jedoch umso mehr am Schlussstrich. Sie sprechen vom Schuldkult, den verdammten zwölf Jahren und von Auschwitz als Vogelschiss in der ansonsten glorreichen Geschichte des deutschen Volkes. Beide Positionen treffen sich immer wieder darin, dass sie ausschließen, selbst antisemitisch zu sein. Antisemitismus wird nur in vermeintlichen Rand- und Extrempositionen wie muslimischen Communities oder neonazistischen Zusammenhängen, nicht aber im eigenen Denken und Handeln entdeckt. Beide Positionen zeigen außerdem, dass es kein Zufall ist, dass im Kontext deutschen Gedenkens an die Shoah der Begriff Vergangenheitsbewältigung weitläufig Einzug halten konnte. Diese Vergangenheit kann und darf jedoch nicht bewältigt werden. Es gilt die Kontinuität des Antisemitismus in dieser Gesellschaft zu erkennen und deutlich zu machen, um eine Wiederholung der Vergangenheit zu verhindern.

Gegenwärtige Erscheinungsformen von Antisemitismus

Antisemitismus ist attraktiv, wirksam und stabil, weil er einen Gewinn für die Psyche der Einzelnen verspricht. Legt man strengere Maßstäbe an den Begriff des Antisemitismus an, so wird deutlich, dass dieser in Deutschland nach 1945 keineswegs verschwunden ist. Ganz im Gegenteil kann er nur auf diese Weise erkannt und kritisiert werden, wo immer er zu Tage tritt.

Unter anderem durch eine Tabuisierung der öffentlichen Äußerung von offen judenfeindlichen Einstellungen in Deutschland nach 1945 mussten neue antisemitische Ausdrucksformen entstehen. Damit wurde verhindert, den psychischen Gewinn und die gemeinschaftsbildende Funktion, die ein antisemitisches Weltbild mit sich bringt, aufgeben zu müssen.

Nach der Befreiung der Welt vom Nationalsozialismus durch die Alliierten bildete sich in Deutschland deshalb eine verkleidete Form der Äußerung antisemitischer Ressentiments heraus, die wir heute als “sekundären Antisemitismus” bezeichnen. Sekundärer Antisemitismus kann auch als Antisemitismus nicht trotz, sondern wegen Auschwitz umschrieben werden. Er äußert sich vor allem in Geschichtsrevisionismus wie der Leugnung oder Relativierung der Shoah, oder indem in einer Täter-Opfer Umkehr mindestens ein Teil der Schuld an der Shoah den Jüdinnen und Juden selbst zugeschrieben wird. Sie hätten angeblich zu ihrer Vernichtung beigetragen, beziehungsweise diese beinahe schon herausgefordert. Zudem ist er charakterisiert durch eine Verweigerung der Erinnerung an die Opfer der Shoah und die paranoide Vorstellung, dass diese die Vergangenheit zu ihrem Vorteil nutzen würden, um sich zu rächen. Der Psychoanalytiker Zvi Rix fasste den irrationalen und paradoxen Charakter dieser Positionen mit dem Satz zusammen, dass „die Deutschen den Juden den Holocaust nie verzeihen werden“.

Die antisemitische Denkform und die entsprechenden Stereotypen finden sich allerdings noch an vielen anderen Stellen des öffentlichen Diskurses. Auch, wenn gar nicht mehr offen von den Juden gesprochen wird. Eine dieser Erscheinungsformen des Antisemitismus heute stellt der israelbezogene Antisemitismus dar. Von diesem spricht man, wenn im Rahmen einer vermeintlichen Kritik des Staates Israel, dieser an doppelten Standards gemessen, dämonisiert, oder ihm sein Existenzrecht überhaupt abgesprochen wird. Die Gründung Israels war unter anderem eine Reaktion auf die globale antisemitische Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden bis 1945, weshalb Israel als nationalstaatlich verfasster Schutzraum für Jüdinnen und Juden aus aller Welt gegenüber anderen Nationalstaaten eine besondere Legitimität zukommt. Stattdessen ist gerade eine internationale Fixierung auf Israel auszumachen, für die sich in der deutschen Sprache der Begriff der Israelkritik herausgebildet hat. So wie der Antisemitismus Juden und Jüdinnen ihre Stellung als Individuen in der Gesellschaft absprechen will und nach ihrer Vernichtung strebt, so will der israelbezogene Antisemitismus Israel delegitimieren, aus der internationalen Staatengemeinschaft ausschließen, auflösen und in letzter Konsequenz auch vernichten. Israel wird so zum Juden unter den Staaten umgedeutet und kann in dieser Funktion zum Ziel antisemitischer Ressentiments und Angriffe werden. Durch die Verkleidung des Antisemitismus als Kritik, wird versucht diesem Legitimität zu verleihen.

Obwohl eine umfassende Kritik des Antisemitismus nicht um eine Kritik des Kapitalismus herumkommt, tauchen gerade auch im Kontext der Kapitalismuskritik antisemitische Denkstrukturen und Versatzstücke auf. Statt den Kapitalismus als Herrschaftsverhältnis zu kritisieren, von dem alle, wenn auch unterschiedlich, erfasst sind, wird die gesamte Schuld an der Misere auf einzelne Akteur*innen eingegrenzt. Damit soll ein eindeutiges und widerspruchsfreies Weltbild gezeichnet und politisch mobilisiert werden.

Die vereinfachende und moralisierende Aufspaltung in gute Eigengruppe und böse Fremdgruppe kann unterschiedlichste Formen annehmen. Das antisemitische Denken braucht nicht zwingend Jüdinnen und Juden. Beispielsweise teilt die Gegenüberstellung von den guten Arbeiter_innen und den bösen Bänker_innen, dem guten Volk und der bösen Globalistenelite, dem schaffenden und dem raffenden Kapital alles Gute der Eigengruppe und alles Schlechte der Fremdgruppe zu. Ein solches Verständnis von gesellschaftlichen Verhältnissen ist gefährlich vereinfacht. Individuen werden einzig auf ihre gesellschaftliche Rolle reduziert. So glauben Antisemit_innen mitsamt den Sündenböcken alle schlechten gesellschaftlichen Zustände mitauslöschen zu können. Wirklich getroffen werden, können die schlechten Verhältnisse nur von einer Kritik der Gesellschaft.

Gedenken als Kritik

Neben der Analyse und Kritik des Antisemitismus in all seinen Formen, offen wie verkleidet, darf auch eine Kritik städtischer und staatlicher Erinnerungspolitiken nicht ausbleiben. Kollektive, wie beispielsweise Nationen, aber wie auch wir als politische Gruppe erinnern niemals grundlos, sondern verbinden stets einen Zweck mit öffentlichem Gedenken. Gedenken wird, im Gegensatz zu persönlicher Trauer immer instrumentell sein. Es ist also entscheidend, darauf zu reflektieren, welcher Zweck mit dem Gedenken verfolgt wird.

In ihrer Funktion als Repräsentant_innen eines Kollektivs müssen sich Vertreter_innen staatlicher Institutionen immer um die Herstellung und Aufrechterhaltung einer positiven Erzählung über sich selbst und das Kollektiv bemühen. Wenn Gedenken in den Dienst der kollektiven Selbstbestätigung genommen wird, indem sich von einer antisemitischen Vergangenheit abgegrenzt wird oder Antisemitismus auf neonazistische Randgruppen verlagert wird, so dient es weniger der Verhinderung einer Wiederholung antisemitischer Gewalt. Vielmehr verwischt eine solche Praxis die Spuren der Vergangenheit, indem sie das antisemitische Potential in der Mehrheitsgesellschaft heute verschleiert und verharmlost. Wie folgenreich diese Dynamik sein kann, zeigt sich auch an der mangelhaften Aufklärung des Attentats auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke durch staatliche Organe.

Wenn wir also heute Shlomo Lewin und Frida Poeschke gedenken und an ihre antisemitisch motivierte Ermordung erinnern, so muss dieses Gedenken stets eine kritische Selbstverunsicherung sein, um wirksam und dem Anlass gerecht werden zu können. Wir müssen Antisemitismus verstehen, um ihn erkennen, benennen und bekämpfen zu können wo auch immer er in Erscheinung tritt, um eine Wiederholung des Geschehenen zu verhindern. Dies ist der einzige legitime Zweck des öffentlichen Gedenkens.

In Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke.

Gegen jeden Antisemitismus.


Am 4.11.2018 konnten wir im Rahmen der Demonstration “Wer schweigt, stimmt zu – Den rassistischen Konsens Duchbrechen” in Leipzig mit einem Redebeitrag unser Projekt vorstellen.

Hier dokumentieren wir die Rede.

“Wir grüßen alle TeilnehmerInnen der Demonstration und erklären uns solidarisch mit ihrem Anliegen
Ein Teil unserer politischen Aktivitäten umfasst die Gedenkarbeit zu dem antisemitischen Attentat an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen im Jahr 1980. Wir möchten mit diesem Redebeitrag zum einen wieder überregional auf den antisemitischen Doppelmord aufmerksam machen und zum anderen erste Ergebnisse unserer theoretischen Beschäftigung mit solidarischem, kritischem Gedenken vorstellen. Ein zentraler Aspekt unserer Konzeption von Gedenken besteht in der Reflexivität der eigenen Praxis. Wir haben deshalb ein Thesenpapier ausgearbeitet, das wir euch und damit der gemeinsamen Diskussion zugänglich machen möchten. Die Frage, wieso wir als Gruppe, die zu einem antisemitischen Attentat arbeitet, nun auf einer Demo zu rassistischer Gewalt sprechen, ist schnell beantwortet. Rassismus, der im Fokus dieser Demo steht, und Antisemitismus müssen nicht nur theorethisch so zusammengedacht werden, wie sie real im Verhältnis stehen. Bereits die gewaltsam erzwungene Eigenschaft der Betroffenen, Opfer von nazistischen Angriffen geworden zu sein, erfordert eine gemeinsame übergreifende Thematisierung ihrer Tode. Wir müssen solidarisch gedenken und gemeinsam mit anderen Akteur_innen solidarisch eine kritische Gedenkpraxis organisieren.

Nun einige Worte zum Antisemitischen Attentat in Erlangen im Jahr 1980.

Shlomo Lewin, Rabbiner und Verleger und Frida Poeschke, seine Lebensgefährtin, engagierten sich beide im Sinne des christlich-jüdischen Dialogs. Lewin hatte zudem die Gründung einer jüdischen Kultusgemeinde geplant und wollte damit einen zentralen Beitrag zur erneuten Etablierung öffentlichen jüdischen Lebens in Erlangen nach dem zweiten Weltkrieg und der Shoah leisten. Am 19. Dezember 1980 werden Lewin und Poeschke abends in ihrem Haus mit mehreren Pistolenschüssen getötet. Damit wurde vorerst auch die geplante Gründung der jüdischen Gemeinde verhindert. Unmittelbar nach der Tat wurde wesentlich im Umfeld der Opfer ermittelt. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen stießen die Behörden auf den späteren Tatverdächtigen Uwe Behrendt. Zunächst wurde von behördlicher Seite davon ausgegangen, dass Behrendt allein handelte. Vieles spricht jedoch damals wie heute dafür, dass es weitere Unterstützer_innen bei der Tat gegeben haben muss. Sicher ist, dass Behrendt führendes Mitglied in der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ war, einer neonazistischen Terrororganisation, aus deren Reihen auch der Oktoberfestattentäter Gundolf Köhler stammte. Behrendt konnte der behördlichen Verfolgung durch eine Flucht in den Libanon entgehen, wo er später Selbstmord begangen haben soll. Die Anklage im Mordfall gegen den Gründer und Anführer der „Wehrsportgruppe Hoffmann“ Karl-Heinz Hoffmann und seine Lebensgefährtin Franziska Birkmann, deren Brille am Tatort gefunden wurde, wurde trotz vorhandener Indizien fallen gelassen. Bis heute wird von staatlicher Seite die These aufrecht erhalten, dass Behrendt allein gehandelt hat.

Ende 2016 fassten wir als Gruppe den Entschluss unsere Gedenkarbeit zu dem antisemitischen Doppelmord in Erlangen, die sich bisher auf eine jährliche Gedenkveranstaltung in der Erlanger Innenstadt beschränkt hatte, in ein langfristiges Dokumentations- und Bildungsprojekt münden zu lassen. Spätestens als klar wurde, dass wir uns eingehender mit Gedenkpolitik auseinandersetzen wollen, standen wir vor der Notwendigkeit einer Selbstverständigung darüber, was für uns Gedenken bedeuten kann und soll. Erste Ergebnisse unseres Reflexionsprozesses wollen wir euch hier vorstellen.
Ein Ausgangspunkt für unsere Auseinandersetzung war das Unbehagen an dem Gedanken, wir könnten die Ermordung Lewins und Poeschkes durch die Form der politischen Kundgebung instrumentalisieren. Was wir dagegen erreichen wollten, war ein kritisches Gedenken zu praktizieren. Die Unterscheidung des Gedenkens von der Trauer brachte uns einem Verständnis davon, wie kritisches Gedenken aussehen könnte einen entscheidenden Schritt näher. Während Trauer die individuelle, psychische Verarbeitung eines Verlustes bezeichnet, meint der Begriff des Gedenkens eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Verlust von Menschenleben, in deren Rahmen diesem Tod politische, historische und gesellschaftliche Bedeutung zugewiesen wird. Der Zweck von Gedenken liegt immer außerhalb der Personen, denen gedacht wird. Deshalb ist Gedenken immer Instrumentalisierung und im Gegensatz zu Trauer auf Legitimation angewiesen. Die Instrumentalisierung selbst kann deshalb nicht Ansatzpunkt der Kritik sein, sondern nur der konkret visierte Zweck des Gedenkens. Er kann illegitim oder legitim sein.
Was aber ist legitimes Gedenken? Unserer Auffassung nach, ist der einzige legitime Zweck, den öffentliches Gedenken verfolgen kann der, dass es sich selbst zukünftig überflüssig macht. Das bedeutet, dass sein Zweck sein muss, zu mahnen und zu verhindern, dass ähnliches noch einmal geschieht. Dazu gehört, den Tod der Personen, denen gedacht wird, als sinnlosen und vermeidbaren Tod – als Ungeheuerlichkeit – auszuweisen und die Bedingungen ihres Todes zu benennen. Es gilt also, herauszuarbeiten welche gesellschaftlichen Verhältnisse und Bedingungen eine solche Tat ermöglicht und nicht verhindert haben und diese Verhältnisse zu kritisieren. Gerade in den herrschenden Formen des Gedenkens zeichnet sich der Charakter dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ab. Illegitimes, falsches Gedenken ist daran auszumachen, dass es die Bedingungen und Verhältnisse, die die Tat ermöglicht haben gerade nicht thematisiert oder aber so thematisiert, dass die Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes nicht in Frage gestellt wird. Dieses positive Selbstbild ist zum Beispiel die nationale Erzählung von den wieder gut gewordenen Deutschen, die den Zivilisationsbruch Auschwitz weltmeisterlich aufgearbeitet und damit endlich überwunden haben. Es ist zum Beispiel auch die Vorstellung, Rassismus existiere lediglich als individuelle Entscheidung und nicht als strukturelles Problem. Diese Selbstvergewisserungen und moralischen Absicherungen tragen zu nichts anderem bei, als der Verschleierung und so der Reproduktion der gewaltförmigen Verhältnisse.
Kritisches Gedenken muss also immer auch Kritik des Gedenkens sein. Dabei scheint uns entscheidend, die eigene Praxis des Gedenkens nie von dieser Kritik auszunehmen. Kritisches Gedenken muss sich schon der Form nach gegen das falsche, illegitime Gedenken richten. Es kann nur als Selbstverunsicherung gedacht werden. Damit steht es in fundamentaler Opposition zu kollektiver Selbstvergewisserung auf jeglicher Ebene.

Diese Konzeption möchten wir in zweierlei Hinsicht auf unsere eigene Gedenkpraxis anwenden. Erstens wollen wir in Form einer relativ niedrigschwellig zugänglichen Broschüre, eines Internetauftritts und von Ausstellungen das Attentat und seine Bedeutung aus verschiedensten Perspektiven beleuchten.
Dazu gehört die Analyse und Kritik der historischen und aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus, sowie rechter Strukturen, also den konkreten TäterInnen und UnterstützerInnen. Darüber hinaus die Auseinandersetzung mit staatlichen Strukturen, deren Verstrickungen in die Tat und ihrer Rolle im Nachgang, sowohl was die Interpretation, als auch was die Aufklärung der Tat betrifft und mit offiziellem Gedenken, das der nationalen Selbstbestätigung verpflichtet ist. Dementgegen möchten wir eine kritische Deutung der Tat und ihrer Bedingungen setzen.
Zweitens möchten wir unsere Überlegungen im Sinne der Selbstverunsicherung zur Diskussion stellen und mit möglichst vielen anderen Initiativen kritischen Gedenkens solidarisch diskutieren. Auf dem Flyer mit unseren Thesen findet ihr eine Kontaktmöglichkeit, um mit uns in den Austausch zu treten.

Wenn es uns allerdings ernst ist mit dem reflexiven Gedenken, und somit dem Ansatz, dass es sich selbst überflüssig machen soll, darf sich politische Arbeit nicht auf diese Praxis allein beschränken. Sonst besteht die Gefahr, dass dieser bereits in einem moralischen Spannungsfeld stehende Akt zu einem Ritual in einer gewalttätigen Realität verkommt. Wir sollten auch die Anschläge und Morde der letzten Zeit, die eine rassistische Tatmotivation nahe legen, betrachten und zum Gegenstand des Mahnens und Gedenkens machen. Gleichzeitig können wir nicht beim Mahnen und Gedenken stehen bleiben, denn das alleine wird Neonazis und andere Rassist_innen und Antisemit_innen nicht vom Morden abhalten. Mit der Vervielfachung von Gewalttaten in den letzten Jahren müssen wir auch konkret den deutschen Täterinnen entgegentreten, uns solidarisch mit den potentiell Betroffenen zeigen und der Verharmlosung und Relativierung solcher Taten durch Parteien, Medien und Polizei entgegenstellen. Der Rückhalt den die Täter erfahren, muss gebrochen werden. Letzten Endes bedeutet all dies den Ideologien und realen Gebilden dieser gewaltvollen Gesellschaft eine Absage zu erteilen. Nur ein menschenwürdiger Zustand kann die Notwendigkeit des Gedenkens aufheben.

Kein Vergeben, kein Vergessen – nie wieder Deutschland!”